FoeBuD e.V., Marktstr. 18, 33602 Bielefeld,   Tel: 0521-175254, Fax: 0521-61172

 

Preisträger der “BigBrotherAwards” 2002 (Übersicht)
Preis-Verleihung am Freitag, den 25. Oktober 2002, 16 – 18 Uhr
in Bielefeld, Ravensberger Spinnerei (Murnau-Saal); Ravensberger Park 1

 

Den Big Brother Award 2002 in der Kategorie „Telekommunikation“ erhält der Deutsche Bundesrat für seinen Beschluss, Telekommunikations(dienste)anbieter zu verpflichten, die Verbindungsdaten von von Nutzern ohne zeitliche Begrenzung für Zwecke von Polizei und Geheimdiensten auf Vorrat zu speichern (datenschutzwidrige Vorratsdatenspeicherung).

Laudator: Dr. Thilo Weichert

 

·   Bundeskriminalamt, BKA (Kategorie: Behörden + Verwaltung)

Der Preis wird verliehen wegen der Einführung der drei Präventivdateien LIMO („Gewalttäter Links“) REMO („Gewalttäter Rechts“) und AUMO („politisch motivierte Ausländerkriminalität“). Mit diesen „Gewalttäter“-Dateien verstößt das Amt gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht einer Vielzahl darin erfasster Personen. Bereits weit über tausend Menschen sind darin als „potentielle Gewalttäter“ erfasst, obwohl viele von ihnen noch nie als gewalttätig aufgefallen sind.

Laudator: Dr. Rolf Gössner

 

Das Innenministerium des Landes Hessen hat unter der Leitung von Herrn Bouffier eine Polizei­rechtsnovelle zu verantworten, mit der die Voraussetzungen zur Rasterfahndung erheblich herabgesetzt wurden. Auf diese Weise wurde eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main konterkariert. Herr Bouffier erhält den diesjährigen Preis stellvertretend für die Innenminister anderer Bundesländer, die nach dem 11. September 2001 ihre Polizeigesetze ad hoc ergänzten und dabei die Schwellen für eine Rasterfahndung - im Vergleich zu anderen Bundesländern - wesentlich herabsetzten.

Laudator: Dr. Fredrik Roggan

 

Sie erhalten den BigBrotherAward für Ihren Versuch, eine Änderung des Polizeigesetzes durchzusetzen, um Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen durchführen zu dürfen. Der Pilotversuch in Bielefeld wird als Erfolg verkauft – obgleich dies weder durch die Zahlen der Polizei, noch durch eine objektive Betrachtung aller Rahmenbedingungen dieses Pilotprojekts zu begründen ist. Seit Montage der Videoüberwachungskameras war laut Zahlen der Polizei ein Anstieg der „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ um 50% zu konstatieren.

Laudator: Rena Tangens und padeluun

 

Den BigBrotherAward erhalten Sie für Ihre demütigende Praxis, Auszubildende vor der Einstellung einem sogenannten Drogentest zu unterziehen.

Laudatorin: Rena Tangens

 

Die Preisvergabe erfolgt wegen des datenschutzwidrigen Umgangs mit Daten aus den Post-Nach­sendeanträgen (erzwungenes Doppeltes Opt-Out).

Laudator: padeluun

 

Sie erhalten den BigBrotherAward, da mit der satellitengestützen Erhebung und zentralen Verarbeitung der Bewegungsdaten von Kraftfahrzeugen eine neue Dimension der Beobachtung von Verkehrsteil­nehmern möglich wird. Die Zusicherung der Betreiber, dem Datenschutz zu genügen, erscheint uns bei der Größenordnung der Erfassung und den Möglichkeiten der Auswertung nicht angemessen.

Laudator: Frank Rosengart

 

Der Lifetime-Award und diesjährige Hauptpreis geht an Kurt Sibold, Geschäftsführer von Microsoft Deutschland. Die Firma erhält den Preis vor allem für ihre „Verdienste“ bei der flächendeckenden Einführung von Kontrolltechnologie für Urheberrechte: Digital Rights Management.

Microsoft ist bereits in den vergangenen Jahren aus unterschiedlichen Gründen für den Big Brother Award nominiert worden. Anlass dazu hat die Firma mit unschöner Regelmäßigkeit immer wieder gegeben. Die Auszeichnung erfolgt also auch wegen der Summierung von Privacy-Problemen, systematischen Schlampereien in Sicherheitsfragen, Registrierungspflichten etc.

Laudator: Patrick Goltzsch

 

 

BigBrotherAwards-Jury 2002:

Vertreter aus fünf Datenschutz- und Bürgerrechtsorganisationen:

DVD-Deutsche Vereinigung für Datenschutz;

FoeBuD-Verein zur Förderung der öffentlichen Datenverkehrs e.V.,

ChaosComputerClub,

FITUG e.V. -Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft,

FifF-Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung;

Humanistische Union

außerdem gehören der Jury an:

Dr. Thilo Weichert (DVD) und

Dr. Rolf Gössner (Bremen), Rechtsanwalt und Publizist.

 

 

Kategorie: Behörden + Verwaltung:

Bundeskriminalamt, BKA

 

Kurztext der Begründung:

Der BigBrotherAward im Bereich Verwaltung/Behörden wird an das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden verliehen, weil das Amt seit 2001 im Zusammenhang mit drei neu eingerichteten Präventiv-Dateien gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht der darin erfassten Personen verstößt. Es handelt sich um sog. Gewalttäter-Dateien im polizeilichen Informationssystem INPOL mit den bemerkenswert verharmlosenden Kürzeln LIMO, REMO und AUMO. Bereits weit über tausend Menschen sind darin als „potentielle Gewalttäter“ erfasst, obwohl viele von ihnen noch nie als gewalttätig aufgefallen sind.

Laudatio von Dr. Rolf Gössner:

Der BigBrotherAward im Bereich Verwaltung+Behörden wird an das Bundeskriminalamt in Wiesbaden, z.H. des Präsidenten Dr. Ulrich Kersten, verliehen, weil das Amt seit 2001 mit der Einrichtung von drei sog. Gewalttäter-Dateien gegen das informationelle Selbstbestimmungs­recht der darin erfassten Personen verstößt. Es handelt sich um Dateien im polizeilichen Informationssystem INPOL mit den bemerkenswert verharmlosenden Kürzeln LIMO, REMO und AUMO:

Diese Dateien werden gemeinsam von Bund und Ländern genutzt und sind jederzeit von allen Dienststellen der Polizei und des Bundes­grenzschutzes abrufbar. Bereits weit über tausend Menschen sind darin als „potentielle Gewalttäter“ erfasst, obwohl viele von ihnen noch nie als gewalttätig aufgefallen sind.

Am Beispiel der „Gewalttäter-Links“-Datei lassen sich die datenschutz­rechtlichen Verstöße verdeutlichen:

 

Vorsorgliche Erfassung möglicher „Unruhestifter“

Die Datei ist auf Beschluss der Innenministerkonferenz durch das BKA im Wege einer „Sofortanordnung“ errichtet worden – ohne vorherige Anhörung des Bundesdatenschutzbeauftragten. Erst viel später wurde eine amtliche Errichtungsanordnung erlassen. Danach werden in dieser Datei nicht nur Gewalttäter und Gewalttaten im engeren Sinne erfasst, sondern “Erkenntnisse” im Zusammenhang mit insgesamt 20 Straftatbe­ständen – von Delikten gegen Leib und Leben oder fremde Sachen bis hin zur Störung öffentlicher Versorgungsbetriebe oder Straftaten nach dem Versammlungsgesetz.

Wer nun allerdings denkt, dass sich in dieser „Gewalttäter-Datei“ nur rechtskräftig verurteilte Gewalttäter wiederfinden oder solche Personen, bei denen Waffen sichergestellt wurden, irrt sich gewaltig. Denn Aufnah­me finden auch bloß Verdächtige sowie Personen, gegen die in der Vergangenheit lediglich Personalienfeststellungen, Platzverweise oder Präventivhaft angeordnet wurden.

Das bedeutet: Wer mit der Polizei bei Versammlungen auch nur in Berührung kommt und dabei erfasst wird, ohne jemals Gewalt ausgeübt zu haben, kann sich leicht als potentieller Gewalttäter in einer der Dateien wiederfinden.

Einzige Voraussetzung für diese „vorsorgliche Erfassung möglicher Unruhestifter“: Es müssen “bestimmte Tatsachen die Annahme recht­fertigen, dass die Personen zukünftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden”. Doch auch solche Personen können ge­speichert werden, bei denen “die Persönlichkeit des Betroffenen oder sonstige Erkenntnisse” Grund zu der Annahme geben, dass künftig Strafverfahren gegen sie zu führen sein werden. Auch bloße “Kontakt- und Begleitpersonen” von Verdächtigen dürfen erfasst werden.

Es handelt sich bei diesen Voraussetzungen letztlich um reine Prog­noseentscheidungen, die allein der Polizei überlassen bleiben. Insofern sind diese Dateien weitere Bausteine in einer längst eingeleiteten Präventionsstrategie, die immer weiter im Vorfeld von strafbaren Hand­lungen und des Verdachts ansetzt. Damit geraten immer mehr Men­schen – auch vollkommen unbescholtene Personen – in polizeiliche Maßnahmen, die tief in die Persönlichkeitsrechte eingreifen.

Entsprechend “auffällig” gewordene Erwachsene und Jugendliche wer­den grundsätzlich drei bzw. fünf Jahre lang, Kinder, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, zwei Jahre lang gespeichert. Da drängt sich doch die Frage auf, was Kinder in einer polizeilichen Präventiv-Datei zu suchen haben. Eine Verlängerung der Speicherzeit ist ohne weiteres möglich.

Fragwürdige Präventivdaten als Basis für Reiseverbote

Die „Gewalttäter-Dateien“ sind nicht allein wegen der Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bürgerrechtsschädigend – denn die Erfassung kann weitere gravierende Grundrechtsbeschrän­kungen nach sich ziehen: So kann es passieren, dass sich erfasste Personen bei Kontrollen und Grenzübertritten repressiven Polizei-Maßnahmen ausgesetzt sehen – bis hin zu polizeilichen Meldeauflagen, Pass-Entzug und Ausreiseverboten.

Das bekamen in den Jahren 2001 und 2002 vor allem Globalisie­rungskritiker zu spüren, die an Demonstrationen im Ausland teilnehmen wollten. So steht etwa der umstrittene G-8-Gipfel in Genua 2001 nicht nur für Ausschreitungen und polizeilich-militärische Eskalation, sondern auch für ein dunkles bundesdeutsches Kapitel in Sachen Bewegungs- und Reisefreiheit, für eine neue Qualität der präventiven Intoleranz:

Zahlreichen Menschen wurde an der Grenze die Ausreise verwehrt, ob­wohl sie weder mit Haftbefehl noch sonst polizeilich gesucht wurden. Sie durften nicht nach Genua reisen, nur weil sie früher schon mal polizeilich erfasst worden waren – etwa anlässlich einer Polizeikontrolle am Rande einer Demonstration. Obwohl gegen sie kein Verfahren eingeleitet, keine Anklage erhoben worden war, galten sie als potentielle “Gewalttäter”, die in der „Gewalttäter-Datei“ gespeichert sind und denen auf dieser „Er­kenntnis“-Grundlage die Ausreise verwehrt wurde. Sie waren über diese Verdatung nicht informiert worden, so dass sie sich dagegen auch nicht rechtlich zur Wehr setzen konnten.

Als Rechtsgrundlage für Ausreiseverbote dient das Passgesetz, das erst im Jahr 2000 entsprechend verschärft worden ist. Danach können Reise­beschränkungen in die Pässe von “Gewalttätern” eingetragen und Aus­reiseverbote verhängt werden, sofern „Tatsachen die Annahme recht­fertigen“, die Betroffenen gefährdeten „die innere und äußere Sicherheit“ oder „sonstige erhebliche Belange“ der Bundesrepublik – auch wenn ihnen aktuell nichts vorgeworfen werden kann. Wer dennoch auszu­reisen versucht, kann mit Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft werden.

Auch Menschen, die es trotz der verschärften Polizei- und Grenz­kontrollen bis Genua geschafft hatten, wurden von ihrem Datenschatten eingeholt. Denn bereits im Vorfeld des G-8-Gipfels hatte das BKA Auszüge aus der „Gewalttäter-Links“-Datei in einer “lista tedesca” an die italienische Polizei weitergegeben. Dabei zeigte sich: Wenn gespeicherte Verdachtsmomente, also ungesicherte Daten über verdächtige Personen oder “Risikogruppen”, im Wege des polizeilichen Datenaustauschs an ausländische Sicherheitsbehörden weitergegeben werden, kann das für die Betroffenen fatale Folgen haben. So passierte es manchen, das sie anhand der Liste als “polizeibekannt” aussortiert wurden und sich darauf­hin Haftverlängerungen, Schikanen sowie folterähnlichen Praktiken der italienischen Polizei ausgesetzt sahen.

 

Fazit: Verletzung verfassungsrechtlicher Prinzipien

Die Kombination von fragwürdigen Präventivdateien, verschärftem Pass­gesetz, exekutiven Reiseverboten und schikanösen Polizeipraktiken kann leicht zur Verletzung der Grundrechte auf Freizügigkeit, der Hand­lungs-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit führen und selbst die körperliche Integrität der Betroffenen verletzen.

Es ist ein Skandal, dass solche gravierenden Eingriffe allein auf ungesicherte Polizeidaten gestützt werden können – weitere Erkenntnis­se müssen jedenfalls nicht hinzukommen. Diese Vorratsdaten-Speiche­rungen stempeln die Betroffenen zu „polizeibekannten reisenden Gewalttätern“.

Die vagen Kriterien für die Aufnahme in die „Gewalttäter“-Dateien, die Speicherdauer von drei bis fünf Jahren, die Erfassung von Kindern und die Nichtbenachrichtigung der Betroffenen widersprechen datenschutz­rechtlichen Prinzipien. Sie verletzen das Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung, die Unschuldsvermutung und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dafür gibt es den BigBrotherAward 2002. Herzlichen Glückwunsch, BKA.

 

Zu BigBrotherAwards 2003

Zurück zur Übersicht BigBrotherAwards

Zurück zur Startseite