FoeBuD e.V.,
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Preisträger der
“BigBrotherAwards” 2002 (Übersicht)
Preis-Verleihung
am Freitag, den 25. Oktober 2002, 16 – 18 Uhr
in Bielefeld, Ravensberger Spinnerei (Murnau-Saal); Ravensberger Park 1
Den Big Brother Award 2002 in der Kategorie
„Telekommunikation“ erhält der Deutsche Bundesrat für seinen Beschluss,
Telekommunikations(dienste)anbieter zu verpflichten, die Verbindungsdaten von
von Nutzern ohne zeitliche Begrenzung für Zwecke von Polizei und Geheimdiensten
auf Vorrat zu speichern (datenschutzwidrige Vorratsdatenspeicherung).
Laudator: Dr.
Thilo Weichert
· Bundeskriminalamt,
BKA (Kategorie: Behörden + Verwaltung)
Der Preis wird verliehen wegen der Einführung der drei Präventivdateien
LIMO („Gewalttäter Links“) REMO („Gewalttäter Rechts“) und AUMO („politisch
motivierte Ausländerkriminalität“). Mit diesen „Gewalttäter“-Dateien verstößt
das Amt gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht einer Vielzahl darin
erfasster Personen. Bereits weit über tausend Menschen sind darin als
„potentielle Gewalttäter“ erfasst, obwohl viele von ihnen noch nie als
gewalttätig aufgefallen sind.
Laudator: Dr. Rolf Gössner
Das Innenministerium des Landes Hessen hat unter der
Leitung von Herrn Bouffier eine Polizeirechtsnovelle zu verantworten, mit der
die Voraussetzungen zur Rasterfahndung erheblich herabgesetzt wurden. Auf diese
Weise wurde eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main
konterkariert. Herr Bouffier erhält den diesjährigen Preis stellvertretend für
die Innenminister anderer Bundesländer, die nach dem 11. September 2001 ihre
Polizeigesetze ad hoc ergänzten und dabei die Schwellen für eine Rasterfahndung
- im Vergleich zu anderen Bundesländern - wesentlich herabsetzten.
Laudator: Dr. Fredrik Roggan
Sie
erhalten den BigBrotherAward für Ihren Versuch, eine Änderung des
Polizeigesetzes durchzusetzen, um Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen
durchführen zu dürfen. Der Pilotversuch in Bielefeld wird als Erfolg verkauft –
obgleich dies weder durch die Zahlen der Polizei, noch durch eine objektive
Betrachtung aller Rahmenbedingungen dieses Pilotprojekts zu begründen ist. Seit
Montage der Videoüberwachungskameras war laut Zahlen der Polizei ein Anstieg
der „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ um 50% zu konstatieren.
Laudator: Rena Tangens und padeluun
Den
BigBrotherAward erhalten Sie für Ihre demütigende Praxis, Auszubildende vor der
Einstellung einem sogenannten Drogentest zu unterziehen.
Laudatorin: Rena Tangens
Die
Preisvergabe erfolgt wegen des datenschutzwidrigen Umgangs mit Daten aus den
Post-Nachsendeanträgen (erzwungenes Doppeltes Opt-Out).
Laudator: padeluun
Sie
erhalten den BigBrotherAward, da mit der satellitengestützen Erhebung und
zentralen Verarbeitung der Bewegungsdaten von Kraftfahrzeugen eine neue
Dimension der Beobachtung von Verkehrsteilnehmern möglich wird. Die
Zusicherung der Betreiber, dem Datenschutz zu genügen, erscheint uns bei der
Größenordnung der Erfassung und den Möglichkeiten der Auswertung nicht
angemessen.
Laudator: Frank Rosengart
Der Lifetime-Award und diesjährige Hauptpreis geht an Kurt Sibold, Geschäftsführer von Microsoft Deutschland. Die Firma erhält den Preis vor allem für ihre „Verdienste“ bei der flächendeckenden Einführung von Kontrolltechnologie für Urheberrechte: Digital Rights Management.
Microsoft
ist bereits in den vergangenen Jahren aus unterschiedlichen Gründen für den Big
Brother Award nominiert worden. Anlass dazu hat die Firma mit unschöner
Regelmäßigkeit immer wieder gegeben. Die Auszeichnung erfolgt also auch wegen
der Summierung von Privacy-Problemen, systematischen
Schlampereien in Sicherheitsfragen, Registrierungspflichten etc.
Laudator: Patrick Goltzsch
BigBrotherAwards-Jury
2002:
Vertreter
aus fünf Datenschutz- und Bürgerrechtsorganisationen:
DVD-Deutsche
Vereinigung für Datenschutz;
FoeBuD-Verein
zur Förderung der öffentlichen Datenverkehrs e.V.,
ChaosComputerClub,
FITUG
e.V. -Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft,
FifF-Forum
InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung;
Humanistische
Union
außerdem
gehören der Jury an:
Dr.
Thilo Weichert (DVD) und
Dr.
Rolf Gössner (Bremen), Rechtsanwalt und Publizist.
Kategorie: Behörden + Verwaltung:
Bundeskriminalamt, BKA
Kurztext der Begründung:
Der BigBrotherAward im Bereich
Verwaltung/Behörden wird an das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden verliehen,
weil das Amt seit 2001 im Zusammenhang mit drei neu eingerichteten
Präventiv-Dateien gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht der darin
erfassten Personen verstößt. Es handelt sich um sog. Gewalttäter-Dateien im
polizeilichen Informationssystem INPOL mit den bemerkenswert verharmlosenden
Kürzeln LIMO, REMO und AUMO. Bereits weit über tausend Menschen sind darin als
„potentielle Gewalttäter“ erfasst, obwohl viele von ihnen noch nie als
gewalttätig aufgefallen sind.
Laudatio
von Dr. Rolf Gössner:
Der
BigBrotherAward im Bereich Verwaltung+Behörden wird an das Bundeskriminalamt in
Wiesbaden, z.H. des Präsidenten Dr. Ulrich Kersten, verliehen, weil das Amt
seit 2001 mit der Einrichtung von drei sog. Gewalttäter-Dateien gegen das
informationelle Selbstbestimmungsrecht der darin erfassten Personen verstößt.
Es handelt sich um Dateien im polizeilichen Informationssystem INPOL mit den
bemerkenswert verharmlosenden Kürzeln LIMO, REMO und AUMO:
Diese
Dateien werden gemeinsam von Bund und Ländern genutzt und sind jederzeit von
allen Dienststellen der Polizei und des Bundesgrenzschutzes abrufbar. Bereits
weit über tausend Menschen sind darin als „potentielle Gewalttäter“ erfasst,
obwohl viele von ihnen noch nie als gewalttätig aufgefallen sind.
Am
Beispiel der „Gewalttäter-Links“-Datei lassen sich die datenschutzrechtlichen
Verstöße verdeutlichen:
Vorsorgliche
Erfassung möglicher „Unruhestifter“
Die
Datei ist auf Beschluss der Innenministerkonferenz durch das BKA im Wege einer
„Sofortanordnung“ errichtet worden – ohne vorherige Anhörung des
Bundesdatenschutzbeauftragten. Erst viel später wurde eine amtliche
Errichtungsanordnung erlassen. Danach werden in dieser Datei nicht nur
Gewalttäter und Gewalttaten im engeren Sinne erfasst, sondern “Erkenntnisse” im
Zusammenhang mit insgesamt 20 Straftatbeständen – von Delikten gegen Leib und
Leben oder fremde Sachen bis hin zur Störung öffentlicher Versorgungsbetriebe
oder Straftaten nach dem Versammlungsgesetz.
Wer
nun allerdings denkt, dass sich in dieser „Gewalttäter-Datei“ nur rechtskräftig
verurteilte Gewalttäter wiederfinden oder solche Personen, bei denen Waffen
sichergestellt wurden, irrt sich gewaltig. Denn Aufnahme finden auch bloß
Verdächtige sowie Personen, gegen die in der Vergangenheit lediglich
Personalienfeststellungen, Platzverweise oder Präventivhaft angeordnet wurden.
Das
bedeutet: Wer mit der Polizei bei Versammlungen auch nur in Berührung kommt und
dabei erfasst wird, ohne jemals Gewalt ausgeübt zu haben, kann sich leicht als
potentieller Gewalttäter in einer der Dateien wiederfinden.
Einzige
Voraussetzung für diese „vorsorgliche Erfassung möglicher Unruhestifter“: Es
müssen “bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Personen
zukünftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden”. Doch auch
solche Personen können gespeichert werden, bei denen “die Persönlichkeit des
Betroffenen oder sonstige Erkenntnisse” Grund zu der Annahme geben, dass
künftig Strafverfahren gegen sie zu führen sein werden. Auch bloße “Kontakt-
und Begleitpersonen” von Verdächtigen dürfen erfasst werden.
Es
handelt sich bei diesen Voraussetzungen letztlich um reine Prognoseentscheidungen,
die allein der Polizei überlassen bleiben. Insofern sind diese Dateien weitere
Bausteine in einer längst eingeleiteten Präventionsstrategie, die immer weiter
im Vorfeld von strafbaren Handlungen und des Verdachts ansetzt. Damit geraten
immer mehr Menschen – auch vollkommen unbescholtene Personen – in polizeiliche
Maßnahmen, die tief in die Persönlichkeitsrechte eingreifen.
Entsprechend
“auffällig” gewordene Erwachsene und Jugendliche werden grundsätzlich drei
bzw. fünf Jahre lang, Kinder, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet
haben, zwei Jahre lang gespeichert. Da drängt sich doch die Frage auf, was
Kinder in einer polizeilichen Präventiv-Datei zu suchen haben. Eine
Verlängerung der Speicherzeit ist ohne weiteres möglich.
Fragwürdige
Präventivdaten als Basis für Reiseverbote
Die
„Gewalttäter-Dateien“ sind nicht allein wegen der Verletzung des Rechts auf
informationelle Selbstbestimmung bürgerrechtsschädigend – denn die Erfassung
kann weitere gravierende Grundrechtsbeschränkungen nach sich ziehen: So kann
es passieren, dass sich erfasste Personen bei Kontrollen und Grenzübertritten
repressiven Polizei-Maßnahmen ausgesetzt sehen – bis hin zu polizeilichen
Meldeauflagen, Pass-Entzug und Ausreiseverboten.
Das
bekamen in den Jahren 2001 und 2002 vor allem Globalisierungskritiker zu
spüren, die an Demonstrationen im Ausland teilnehmen wollten. So steht etwa der
umstrittene G-8-Gipfel in Genua 2001 nicht nur für Ausschreitungen und
polizeilich-militärische Eskalation, sondern auch für ein dunkles
bundesdeutsches Kapitel in Sachen Bewegungs- und Reisefreiheit, für eine neue
Qualität der präventiven Intoleranz:
Zahlreichen
Menschen wurde an der Grenze die Ausreise verwehrt, obwohl sie weder mit Haftbefehl
noch sonst polizeilich gesucht wurden. Sie durften nicht nach Genua reisen, nur
weil sie früher schon mal polizeilich erfasst worden waren – etwa anlässlich
einer Polizeikontrolle am Rande einer Demonstration. Obwohl gegen sie kein
Verfahren eingeleitet, keine Anklage erhoben worden war, galten sie als
potentielle “Gewalttäter”, die in der „Gewalttäter-Datei“ gespeichert sind und
denen auf dieser „Erkenntnis“-Grundlage die Ausreise verwehrt wurde. Sie waren
über diese Verdatung nicht informiert worden, so dass sie sich dagegen auch
nicht rechtlich zur Wehr setzen konnten.
Als
Rechtsgrundlage für Ausreiseverbote dient das Passgesetz, das erst im Jahr 2000
entsprechend verschärft worden ist. Danach können Reisebeschränkungen in die
Pässe von “Gewalttätern” eingetragen und Ausreiseverbote verhängt werden,
sofern „Tatsachen die Annahme rechtfertigen“, die Betroffenen gefährdeten „die
innere und äußere Sicherheit“ oder „sonstige erhebliche Belange“ der
Bundesrepublik – auch wenn ihnen aktuell nichts vorgeworfen werden kann. Wer
dennoch auszureisen versucht, kann mit Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr
oder mit Geldstrafe bestraft werden.
Auch Menschen, die es trotz der verschärften
Polizei- und Grenzkontrollen bis Genua geschafft hatten, wurden von ihrem
Datenschatten eingeholt. Denn bereits im Vorfeld des G-8-Gipfels hatte das BKA
Auszüge aus der „Gewalttäter-Links“-Datei in einer “lista tedesca” an die
italienische Polizei weitergegeben. Dabei zeigte sich: Wenn gespeicherte
Verdachtsmomente, also ungesicherte Daten über verdächtige Personen oder
“Risikogruppen”, im Wege des polizeilichen Datenaustauschs an ausländische
Sicherheitsbehörden weitergegeben werden, kann das für die Betroffenen fatale
Folgen haben. So passierte es manchen, das sie anhand der Liste als
“polizeibekannt” aussortiert wurden und sich daraufhin Haftverlängerungen,
Schikanen sowie folterähnlichen Praktiken der italienischen Polizei ausgesetzt
sahen.
Fazit:
Verletzung verfassungsrechtlicher Prinzipien
Die
Kombination von fragwürdigen Präventivdateien, verschärftem Passgesetz,
exekutiven Reiseverboten und schikanösen Polizeipraktiken kann leicht zur
Verletzung der Grundrechte auf Freizügigkeit, der Handlungs-, Meinungs- und
Versammlungsfreiheit führen und selbst die körperliche Integrität der
Betroffenen verletzen.
Es ist ein Skandal, dass solche gravierenden
Eingriffe allein auf ungesicherte Polizeidaten gestützt werden können – weitere
Erkenntnisse müssen jedenfalls nicht hinzukommen. Diese Vorratsdaten-Speicherungen
stempeln die Betroffenen zu „polizeibekannten reisenden Gewalttätern“.
Die
vagen Kriterien für die Aufnahme in die „Gewalttäter“-Dateien, die
Speicherdauer von drei bis fünf Jahren, die Erfassung von Kindern und die
Nichtbenachrichtigung der Betroffenen widersprechen datenschutzrechtlichen
Prinzipien. Sie verletzen das Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung,
die Unschuldsvermutung und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dafür gibt es
den BigBrotherAward 2002. Herzlichen Glückwunsch, BKA.
Zu BigBrotherAwards 2003