BIG BROTHER AWARDS

Preisverleihung 26. Oktober 2000 in Bielefeld

 

Kategorie: Politik

 

Laudatio/Vorstellung: RA Dr. Rolf Gössner (Bremen)

 

Vorgeschlagen werden können alle Gesetzesvorhaben, Parteieninitiativen oder offiziellen Aktivitäten in internationalen Gremien, die den rechtlichen Freiraum auf Privatsphäre beschränken.

 

Der BigBrotherAward in der Kategorie Politik wird dem Berliner Innensenator Dr. Eckart Werthebach verliehen und zwar für die geplante Erweiterung und Erneuerung der Telefonüberwachungsanlage in der Bundeshauptstadt. Damit soll in Berlin die Möglichkeit eröffnet werden, die Telekommunikation – ohne jegliche Erfolgskontrolle – noch extensiver als es bislang schon geschieht, polizeilich abzuhören.

Langfassung:

Die Verleihung des BigBrotherAward an den Berliner Innensenator erfolgt exemplarisch für die Bestrebungen in vielen Bundesländern, die polizeiliche Telekommunikationsüberwachung massiv auszubauen. So beantragte Anfang September 2000 die Berliner Senatsverwaltung des Innern (der Senator für Inneres) beim Berliner Abgeordnetenhaus die Beschaffung von zusätzlicher Gerätetechnik für die Telefonüberwachung. Bis 1999 sind hierfür bereits 3 Millionen Mark investiert worden, womit das Überwachungsarsenal auf 75 Aufzeichnungsgeräte und 55 Auswertungsgeräte erweitert wurde. Bis 2003 sollen weitere knapp 5 Millionen Mark in die Abhörtechnik investiert werden. Darüber hinaus fordert der Innensenator die Genehmigung von einer halben Million Mark für die Mobilfunküberwachung, die künftig mit einem neu anzuschaffenden sog. IMSI-Catcher bewerkstelligt werden soll. Zur Begründung wird die Telefonüberwachung als „absolut unverzichtbares polizeitaktisches Mittel zur Informationsgewinnung im Bereich der Schwerstkriminalität“ bezeichnet.

Es wird von der Jury nicht bestritten, daß solche Überwachungsmaßnahmen zur Aufklärung von schweren Straftaten wirksam sein können. Die undifferenzierte Forderung nach einer weiteren Ausdehnung solcher Maßnahmen stellt jedoch eine massive Gefährdung des Fernmeldegeheimnisses und des Informationellen Selbstbestimmungsrechts einer Vielzahl von Menschen dar – und zwar auch vollkommen unverdächtiger.

Vorhandene Überwachungstechnik und –kapazitäten werden – das ist eine praktische Erfahrung – im Interesse optimaler Ausnutzung von Ressourcen, auch intensiv genutzt. Dadurch werden noch mehr unverdächtige und unbescholtene Personen in Abhörmaßnahmen involviert und ausgehorcht. Dabei ist Deutschland schon seit Jahren Weltmeister im Abhören. 1999 erreichte die Zahl der Überwachungsanordnungen bei über 3.000 Strafverfahren und über 6.600 Anschlußinhabern einen neuen Höchststand; seit Jahren sind zweistellige Zuwachsraten zu verzeichnen. Weit höher ist die offiziell nicht bekannte Anzahl betroffener Einzelanschlüsse sowie die Zahl der abgehörten Personen, Gesprächspartner bzw. Kontaktpersonen und der abgehörten Gespräche, die in die Millionen gehen. So gab es schon Ermittlungsverfahren in deren Verlauf mehr als 40.000 Telefongespräche abgehört wurden. Rund 40 Prozent der Abhörmaßnahmen, deren Dauer im Laufe der Jahre ebenfalls ansteigt, richteten sich 1999 gegen unverdächtige Anschlußinhaber, darunter auch gegen Vertrauenspersonen, wie Ärzte oder Rechtsanwälte.

Vor diesem Hintergrund und dessen ungeachtet fordert die Berliner Senatsverwaltung des Inneren mit Innensenator Dr. Werthebach an der Spitze erweiterte Möglichkeiten und Kapazitäten für die Telekommunikationsüberwachung, ohne deren Effektiviät nachweisen zu können oder zu wollen. Außer einer richterlichen Anordnung auf Grundlage der polizeilichen Aktenlage ist eine richterliche Verlaufsprüfung und eine nachträgliche Kontrolle der einzelnen Maßnahmen nicht vorgesehen. Eine von den Datenschutzbeauftragten seit Jahren geforderte Evaluation wurde bis heute weder in Berlin noch in anderen Bundesländern vorgenommen.

Aufgerüstet werden soll nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ: Dies gilt etwa für die Nutzung des Telefons als elektronische Wanze, für den Einsatz von Stimmerkennungssystemen oder – wie in Berlin gefordert – durch die Beschaffung von sogenannten IMSI-Catchern. Damit können nicht nur die netzinternen Handynummern (Identifikations-Ken­nung) von eventuell Verdächtigen „gecatcht“ werden, sondern auch die von völlig Unbeteiligten. Um festzustellen, ob diese tatsächlich unbeteiligt sind, muß gegen sie polizeilich ermittelt werden, ohne daß es einer richterlichen Anordnung bedürfte. Grundsätzlich kann damit auch der Gesprächsinhalt von Telefonaten abgehört werden, was ein verstärktes Abhören wegen angeblicher „Gefahr im Verzug“ zur Folge haben könnte. Der Einsatz solcher Catcher, deren Legalisierung 1997 vom Bundesgesetzgeber abgelehnt worden ist, verursacht im übrigen auch eine Störung des Mobilfunkverkehrs. Nach den Worten des Bundesdatenschutzbeauftragten wäre die Verwendung solcher Geräte, die bislang auch in Berlin keine Rechtsgrundlage haben, ein – so wörtlich - „eklatanter Verstoß gegen das Recht auf unbeobachtete Kommunikation“.

 

 

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