Gustav Heinemann-Initiative (Bad Nauheim)
Humanistische Union
(Berlin)
Internationale Liga für
Menschenrechte (Berlin)
Komitee für Demokratie
und Grundrechte (Köln)
Folterdebatte:
Bürgerrechtsorganisationen
wenden sich an Europarat und Vereinte Nationen
Presseerklärung
der
oben genannten Organisationen zu ihrem Schreiben an die Präsidentin des Europäischen
Komitees für die Verhinderung von Folter und Inhumaner oder entwürdigender
Behandlung oder Bestrafung (ECPT) und zu dem inhaltlich übereinstimmenden
Schreiben an das Komitee gegen Folter bei den Vereinten Nationen (CAT)
Die nicht abreißende öffentliche Debatte über
eine Zulassung der Folter in der
Bundesrepublik Deutschland hat uns bewogen, uns an die beim Europarat bzw. bei
den Vereinten Nationen angesiedelten Komitees gegen Folter mit der Bitte zu
wenden, sich mit der Angelegenheit zu befassen und ihre völkerrechtlich
legitimierte Autorität gegen eine Wiedereinführung von Folter geltend zu
machen. Wir haben angeregt, dass sich die
Komitees den Strafanzeigen gegen den Vizepräsidenten der Polizei in
Frankfurt a.M., Wolfgang Daschner, wegen Aussageerpressung anschließen.
i.V. Dr. Rolf Gössner
Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte
Nachfolgend das Schreiben an die Präsidentin des ECPT.
Miss Sylvia Casale,
President of the European Committee for the Prevention
of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (ECPT)
Berlin, den 6.August 2003
Dear Miss Casale,
wir wenden uns an Sie wegen einiger
Ereignisse und Debatten in der Bundesrepublik Deutschland, die uns mit großer
Sorge erfüllen. Wir beziehen uns dabei auf einen Fall praktizierter Androhung
von Foltermaßnahmen und die daraufhin einsetzende breite und weiterhin
anhaltende öffentliche Diskussion um eine Legitimierung und Legalisierung von
Folter.
Ausgelöst wurde die Diskussion durch
Wolfgang Daschner, Vizepräsident der Frankfurter Polizei. Daschner hat im Oktober
letzten Jahres die Anweisung gegeben, Markus Gäfgen, den mutmaßlichen Mörder
eines elfjährigen Entführungsopfers, mit massiver körperlicher Gewalt zu
drohen, um eine Aussage über den Verbleib des Jungen zu erzwingen. Ein Arzt
sollte zu diesem Zweck hinzugezogen werden. So ist es einem minutiösen Aktenvermerk
Daschners zu entnehmen. Der Prozeß gegen
Gäfgen ist in erster Instanz abgeschlossen. In der mündlichen Urteilsbegründung
hat der Vorsitzende der Strafkammer des Landgerichts Frankfurt a. M.
hervorgehoben, dass dem Rechtsstaat schwer geschadet worden sei, wenn die
Vorwürfe gegen die Polizei zutreffen (Bericht der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung vom 29.7.2003). Trotz der klaren Rechtslage gibt es in Sachen Folterandrohung
durch Daschner aber noch kein strafrechtliches Ergebnis. Daschner steht ungeachtet
des schweren Vorwurfs – es geht immerhin um ein Verbrechen – weiterhin an der
Spitze der Frankfurter Polizei.
Ausgehend von der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte der Vereinten Nationen (VN) von 1948 und der Europäischen
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 ist das
absolute, keine Ausnahmen kennende Verbot der Folter durch die
Anti-Folterkonvention der VN von 1984 und die der Mitgliedsstaaten des
Europarates von 1987 zu einem festen Bestandteil des geschriebenen und
vertraglichen Völkerrechts geworden. Es ist zu erwarten, dass dieses Verbot
wiederum bestätigt wird, wenn der Ministerrat der Europäischen Union (EU) den
von der Europäischen Kommission vorgelegten Entwurf einer Richtlinie annimmt,
die den offenbar auch aus Ländern der EU betriebenen schwunghaften Handel mit
Folterinstrumenten einschränken soll.
Von der Bundesrepublik lässt sich sagen, dass sie sich bislang sowohl in ihrer Gesetzgebung als auch faktisch zur völkerrechtlichen Ächtung der Folter bekennt. Eine Aufweichung des Verbots der Folter war bislang in der öffentlichen Diskussion fast ein Tabuthema – das hat sich auch im Zusammenhang mit den Isolationshaftbedingungen für einige des “Terrorismus” verdächtige Gefangene in den 70er und 80er Jahren gezeigt. Motto: “Was nicht sein darf, auch nicht sein kann.” Seit den Frankfurter Ereignissen ist dieses Tabu gebrochen, wird offen über die Anwendung von Folter debattiert – eine öffentliche Debatte, die mehr und mehr den Charakter einer Kampagne annimmt.
Wolfgang Daschner, der Vizepräsident der Polizei in Frankfurt a.M., steht zu der von ihm begangenen Aussageerpressung. Er wird dabei von dem Polizeipräsidenten von Frankfurt gedeckt, der das Verhalten seines Stellvertreters “in vollem Umfang” billigt. Beim hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch findet Daschner Verständnis. Und die Hälfte oder je nach Umfrage auch zwei Drittel der Bevölkerung halten Folter in bestimmten Fällen für legitim, ein besonders alarmierender Umstand. Wenn die Behauptung des Journalisten Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung vom 10.3.2003) zutrifft, denken auch Richter der obersten Gerichtshöfe in Karlsruhe über eine Aufweichung des Folterverbotes nach. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (Ausgabe vom 11.4. 2003) räumt dem Rechtsphilosophen Prof. Winfried Brugger, der schon seit Jahren für eine Relativierung des Folterverbots eintritt, eine ganze Seite ein. Weitere Artikel in dieser Zeitung, in denen eine Aufweichung diskutiert wurde, folgten. In den Medien findet sich allgemein eine breite Erörterung der Thematik. Auch wenn der Tenor der Artikel und Sendungen in den meisten Fällen ablehnend sein dürfte, eine wie immer beschränkte Zulassung der Folter ist zu einem Gegenstand geworden, der der öffentlichen Erörterung würdig ist.
Wir als den Menschenrechten verpflichtete Organisationen wissen uns mit Ihnen darin einig, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre bisherige Linie nicht verlassen und sich dem Lager derjenigen Länder, die de facto und oft auch de iure die Folter als staatliches Instrument nutzen, nicht anschließen darf. Wir hielten es unserer gemeinsamen Sache dienlich, wenn Sie kraft Ihrer besonderen Autorität schon jetzt, im Vorfeld möglicher juristischer Veränderungen, öffentlich in die Auseinandersetzungen bei uns eingreifen würden. Auf welchen Wegen dies geschehen könnte, wissen Sie besser als wir. Erlauben Sie uns dennoch den Vorschlag, dass sich der Ausschuss gegen Folter oder einzelne seiner Mitglieder der Strafanzeige gegen Wolfgang Daschner bei der Staatsanwaltschaft in Frankfurt a.M. anschließen möge, vielleicht sogar gemeinsam mit dem bei dem Anti-Folter-Auschuss der VN. Auch könnten wir uns vorstellen, dass eine öffentlich gemachte Aufforderung an die Bundesministerin für Justiz, Frau Dr. Brigitte Zypries, sich diesen Tendenzen energisch entgegenzustellen, nicht ohne Wirkung bleiben würde.
Ihrer Antwort und Ihren Aktivitäten sehen wir mit großem Interesse
entgegen.
Mit vorzüglicher Hochachtung grüßen
gez. Werner Koep-Kerstin, Sprecher der Gustav-Heinemann-Initiative
gez. Till Müller-Heidelberg, Vorsitzender der
Humanistische Union
gez. Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga
für Menschenrechte;
Kilian Stein, Sprecher des Rechtsausschusses der Liga
gez. Volker Böge und Theo Christiansen,
Geschäftsführender Vorstand des Komitees für Grundrechte und Demokratie